Berner Museumsgeschichten

Von der Erfüllung eines Bubentraums

Martin Troxler, wissenschaftlicher Präparator, war schon als Kind begeistert von den Ausstellungen und Objekten des Naturhistorischen Museums Bern. Heute kann er sich über einen erfüllten Bubentraum freuen: Er arbeitet da, wo er sich vor vielen Jahren hin wünschte.

Die Szene zeigt vor lieblich gemalter Kulisse ein Hermelin, das einen Hasen erlegt, während zwei andere Mitglieder der Hasenfamilie flüchten. Martin Troxler hat ein besonderes Verhältnis zu diesem Ausstellungsobjekt. Zum einen staune er immer wieder, wie ein so kleines Tier ein viel grösseres Opfer bezwingen könne, und zum anderen sei sein Verhältnis zu diesem Objekt in der historischen Sammlung deshalb speziell, «weil ich schon als Bub davorstand und die Szene bestaunte.»

Martin Troxler wuchs im Aargau auf und reiste oft zu seiner Patentante, die in Bern lebte. «Fragte sie mich, was wir zusammen unternehmen wollten, wünschte ich mir meistens einen Besuch im Naturhistorischen Museum», erinnert er sich. Schon bald sei dann auch sein Traumberuf festgestanden: «Ich wollte Tierpräparator werden, und es stand für mich fest, dass ich in diesem Museum würde arbeiten wollen.»

Traumberufe sind nicht immer Brotberufe, und so rieten die Eltern ihrem Sohn, doch zunächst einen «richtigen» Beruf zu erlernen. «Ich absolvierte eine vierjährige Lehre als Buchbinder, und das war eine gute Wahl, denn ich wollte mich handwerklich betätigen», sagt Martin Troxler. Kaum hatte er seinen Lehrabschluss in der Tasche, machte sich der junge Berufsmann auf die Suche nach einer Lehrstelle als wissenschaftlicher Präparator. Eine solche zu finden, sei schon damals sehr schwierig gewesen. «Weil der Beruf vom Bund nicht anerkannt war, hielt sich das Interesse an einer nicht anerkannten Berufslehre in Grenzen, und auch das Angebot an Lehrstellen war sehr beschränkt. Das ist heute noch so.»

Nach einem Jahr in der Ostschweiz schaffte es Martin Troxler, eine Lehrstelle beim Bündner Naturmuseum zu finden. «Da ich bereits über eine abgeschlossene Berufslehre verfügte, konnte ich eine verkürzte zweijährige Ausbildung absolvieren», erzählt er, und danach sei er in Chur geblieben. Bis sich der Bubentraum erfüllte. «Als meine heutige Stelle hier in Bern frei wurde, erhielt ich eine Anfrage, ob ich nicht nach Bern kommen wolle.» Und das wollte der einst davon Träumende natürlich. Obschon ihm der Abschied von Graubünden schwergefallen sei. «Bis zum Lockdown reiste ich jedes Wochenende nach Chur, wo ich eine Wohnung behalten hatte – 24 Jahre lang», schmunzelt der Aargauer, dessen Graubündner Jahre sich hörbar im Dialekt verankert haben.

Nun ist er da, wo er vor vielen Jahren landen wollte, und die Arbeit als wissenschaftlicher Präparator gefällt ihm noch immer sehr. In dieser Funktion präpariert er für die Sammlung neues «Frischmaterial», denn im Haus laufen verschiedene wissenschaftliche Projekte. «Wir bauen Skelette oder erstellen Bälge», erklärt Martin Troxler. Bälge seien Präparate ohne Stellung, also Felle oder Federnkleider, die an einem Stab angebracht seien und sich flach lagern liessen. «Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler benötigen kein Präparat, das eine Stellung einnimmt, ihnen dient bereits ein Balg als Beleg.»

Anders die Besucherinnen und Besucher von Ausstellungen. Sie wollen Tiere sehen, die sitzen, stehen, in Bewegung sind. Und manchmal will das Publikum sehen, was eigentlich gar nicht zu sehen ist, nicht mehr zu sehen sein kann. Martin Troxler erwähnt Barry, den berühmten Bernhardiner, der als wertvolles Ausstellungsobjekt seit 200 Jahren in der Sammlung des Naturhistorischen Museums Bern steht. «Das Objekt musste in all diesen Jahren mehrere Male umgebaut werden, weil sich die Bernhardinerrasse durch Zucht veränderte und der Museums-Barry nicht mehr den aktuell lebenden Bernhardinerhunden entsprach.

Ein solcher «Umbau» ist kein einfaches Unterfangen, weiss Martin Troxler, der sich selbst im Skelettbau spezialisiert hat. Und dessen Lieblingsobjekte, das Skelett eines fliegenden Graureihers und das Skelett eines irischen Wolfshundes, genau von der Kunst erzählen, ein anatomisch korrektes Knochengerüst zu bauen, das ein Tier in Bewegung zeigt. «Da muss anatomisch alles stimmen, da dürfen wir nichts frei interpretieren, wie das eine Bildhauerin oder ein Bildhauer dürfte.» Meistens sei es so, erzählt Martin Troxler, «dass wir Präparatorinnen und Präparatoren nicht zufrieden sind mit unseren fertigen Produkten, weil wir am fertigen Objekt Fehler sehen, die zwar ausser uns kaum jemand erkennt, die Skelettbauerin oder den Skelettbauer aber gleichwohl ärgern.»

Eine wissenschaftliche Präparatorin, ein wissenschaftlicher Präparator muss über eine grosse Artenkenntnis verfügen, muss ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen haben und gut zeichnen können. «Und wir müssen die Lebensräume der Tiere kennen, müssen wissen, wie sie sich bewegen, wo sie sich hinsetzen», fügt Martin Troxler an. Und erklärt: »Wenn ich einen Vogel präpariere und ihn sitzend auf einer Wurzel zeige, dann macht das nur Sinn, wenn dieser Vogel lebend tatsächlich auf Wurzeln sass.» Die Präparatorin, der Präparator müssen also wissen, wie sich die Tiere lebend verhielten, nur so lasse sich das Objekt naturgerecht inszenieren. «Wir arbeiten zwar mit totem Material», resümiert Martin Troxler, «müssen aber einen starken Bezug haben zum Leben des Tiers. Nur so können wir es begreifen und darstellen.»

Hätte sich vor vielen Jahren ein kleiner Besucher so überzeugend von seinem Traumberuf erzählen hören – von seiner Berufung –, er wäre stolz gewesen. Und hätte erst recht alles dafür getan, wissenschaftlicher Präparator zu werden.